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Internationaler Tag der Kinderrechte

Expertin im Interview: Auch in der Schweiz herrscht noch Handlungsbedarf

Jedes Kind soll sicher aufwachsen. Das und viel mehr hat die UN vor 35 Jahren mit der UN-Kinderrechtskonvention beschlossen, welche fast alle UN-Mitgliedsstaaten unterzeichnet haben. Aber die Realität sieht anders aus. Zum «Internationalen Tag der Kinderrechte» erzählt Expertin Christina Weber Khan, wo sich die Schweiz noch verbessern kann.

Frau Khan Weber, warum brauchen Kinder spezielle Rechte?

Weil Kinder und Jugendliche in vielen Lebensbereichen besonders schutzbedürftig und auf Unterstützung angewiesen sind. Ihre körperliche und geistige Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen, was sie anfälliger für Ausbeutung, Vernachlässigung oder Missbrauch macht.

Bei Kindern und Jugendlichen geht es weiter darum, dass sie als eigenständige Persönlichkeiten mit ihrer Meinung wahrgenommen und gehört werden. Bei den «Rechten des Kindes» sprechen wir von weltweit gültigen Grundwerten im Umgang mit Kindern, und zwar unabhängig von ihrem sozialen, kulturellen, ethnischen oder religiösen Hintergrund.  

Wenn man an die Verletzung von Kinderrechten denkt, dann kommen einem zuerst Kriegsgebiete oder ärmere Länder in den Sinn. Wie gut werden Kinderrechte in der Schweiz eingehalten?

Die Schweiz ist im internationalen Ranking in vielen Bereichen gut platziert. Trotzdem gibt es auch bei uns noch Luft nach oben. Das lässt sich an diesen drei Beispielen aufzeigen:

  • Recht auf Bildung: Wir haben in der Schweiz hochwertige Bildung, aber sie ist nicht für alle Kinder gleich gut zugänglich. Familien mit einem tiefen Einkommen fehlt oft das Geld für ausserschulische oder kulturelle Aktivitäten, für Lager oder Nachhilfe. Für Eltern, die das System in der Schweiz nicht gut kennen, stellt dies zusätzliche Anforderungen. Das schafft eine Ungleichheit.
  • Schutz vor Ausbeutung und Gewalt: Die Schweiz hat ein gutes Kinderschutzsystem. Körperstrafen sind zwar verboten, aber das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung in der Familie ist noch immer nicht gesetzlich verankert. Solange die Aussage «Ein Klaps schadet doch nicht!» immer noch gelebt wird, werden Kinderrechte verletzt.
  • Recht auf psychische Gesundheit: Hier besteht bei uns – wie in anderen Ländern auch – ein grosser Handlungsbedarf. Kinder müssen viel zu lange auf einen Termin bei einer ambulanten oder stationären Psychotherapie warten, Fachleute sind total überbucht. Durch die Coronapandemie hat sich dieses Problem noch verschärft. Dieses Thema zeigt gut auf, wie verletzlich Kinder sind.

Wie erklärt man Kindern das Thema Kinderrechte? Als Eltern oder in der Schule?

Am besten ganz nah am Alltag und altersgerecht. Es gibt gute Bücher und Videos dazu. Leider ist es oft schwierig, das Thema in den Unterricht zu bringen, weil die Strukturen in unseren Schulen wenig Spielraum zulassen.

Ganz wichtig scheint mir auch, mit Kindern direkt über ihre Probleme zu reden. Unterstützen Sie Kinder und Jugendliche auch dabei, sich zu engagieren und ihre Meinung zu äussern. Mitbestimmung und Mitwirkung ist ein Kinderrecht, das oft ungenügend umgesetzt wird. Natürlich tragen die Erwachsenen weiterhin die Verantwortung, aber die Meinung von Kindern soll gehört und bei Entscheidungen berücksichtigt werden.

Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterin in der MegaMarie, dem Spiel-, Werk und Begegnungsort für Familien und kleine Kinder am Marie Meierhofer Institut für das Kind. Inwiefern werden in der MegaMarie die Kinderrechte gestärkt und gefördert?

Das ist auf ganz unterschiedlichen Wegen möglich. Denken Sie an das Recht auf Spiel und Freizeit oder an das Recht auf Bildung, Förderung und Gemeinschaft. In der MegaMarie dürfen Kinder unterschiedlichster Herkunft, Kinder mit Wohnsitz in der Schweiz, genauso wie Flüchtlingskinder, frei und kreativ sein, ganz ohne Lerndruck. Sie basteln, malen und werden gesamtheitlich gefördert. Und all das erleben die Kinder und deren Begleitpersonen in einer Gemeinschaft, von der alle profitieren.

Zum Beispiel kam ein 6-jähriges Mädchen, das mit seiner Mutter im nahen Bundesasylzentrum untergebracht war. Es kam in die MegaMarie und fand hier einen Raum und die Möglichkeit, sich kreativ auszudrücken. Das Mädchen kreierte Küchlein aus Salzteig und man spürte, wie es sich willkommen fühlte. Ein Kind gewinnt Selbstvertrauen, wenn es sich an einem Ort respektiert fühlt und merkt, dass es gleich wertvoll ist wie alle andern Kinder. 

Christina Weber Khan

Christina Weber Khan

Expertin für Kinderrechte, Mitarbeiterin MMI

Christina Weber Khan ist Expertin für Kinderrechte und Partizipation. Sie hat einen Master in Children’s Rights. Die letzten 20 Jahre war sie in Kinderrechtsorganisationen und beim Schweiz. Kompetenzzentrum für Menschenrechte tätig. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin des Spiel-, Werk und Begegnungsortes MegaMarie im MMI.